„Pilzvergiftungen“ von kleinen Kindern

 

Vorfälle, bei denen vermutet  wird, dass kleine Kinder – vom Krabbelalter bis etwa 4 Jahre – Pilze verzehrt haben könnten, machen die Mehrzahl der Fälle in den Statistiken aus. So verzeichnete das Giftinformationszentrum-Nord (GIZ-Nord) in 2009 in dieser Altersgruppe 139 von insgesamt 382 Fällen mit Pilzen. Als Pilzsachverständiger (PSV) werde ich jährlich in 20 – 30 Fällen mit kleinen Kindern kontaktiert.

 

Und vorab gleich die gute Nachricht: In nur 10 % meiner Einsätze wird eine ärztliche Behandlung der Kinder notwendig. Das bedeutet natürlich keine Generalentwarnung nach der Devise „Es wird schon nichts passieren“.

 

Ich bin erfahrener PSV aber kein Arzt. Daher darf ich den Eltern keine medizinischen Ratschläge geben. Die Beratung der Eltern erfolgt daher immer in enger Absprache mit dem GIZ und in medizinischen Aussagen durch eine Mitarbeiterin / einen Mitarbeiter des GIZ.

 

Klassische Habitate in denen kleine Kinder mit Pilzen in Berührung kommen können, sind Gärten mit Beeten und Rasenflächen, Parkwiesen, Spielplätze oder Kindergärten. Die Anzahl der in diesen Lebensräumen potentiell vorkommenden Pilzarten beträgt sicher mehrere hundert Arten. Viele Pilzarten erscheinen bereits im Frühjahr; die Saison endet mit den ersten strengen Frösten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  Risspilze wie die hier abgebildeten Inocybe napipes
  werden kaum von Sammlern mitgenommen. Für
  Kleinkinder, die diese unscheinbaren Arten zufällig im
  Rasen oder am Wegrand finden und unbemerkt
  verzehren, stellen Risspilze eine große Gefahr dar.
 

  Foto: Axel Schilling

 

Oft handelt es sich um unscheinbare, kleine, irgendwie braune Fruchtkörper. Das bedeutet, sie entziehen sich einer Beschreibung durch den mykologischen Laien z. B. beim telefonischen Erstkontakt. Es handelt sich um Arten, die sich - zumindest für den Laien - ähneln oder sogar um solche, die auch der Experte makroskopisch nicht ohne weiteres identifizieren kann. Darunter sind harmlose Pilzarten, aber auch Arten mit problematischen oder sogar stark toxischen Inhaltsstoffen. Viele dieser Arten sind überhaupt nicht erforscht. Sie gehören auch nicht zu den klassischen Speisepilzen, wurden vom Kind zudem noch roh verzehrt. Hitzelabile Inhaltsstoffe, die sonst beim Braten oder Kochen zerstört werden, sind also noch vorhanden. Auch amanitinhaltige Pilzarten (tödlich giftig wie der Grüne Knollenblätterpilz) können darunter sein.

 

Das Kleinkind erforscht seine Umwelt bei Interesse vielfach mit dem Mund. Und es ist schnell. Wenn die Eltern dann wieder hinschauen, hat es einen halben, gequetschten Pilzfruchtkörper in der Hand, einen Rest im Mundwinkel und kaut vergnügt vor sich hin. Der Versuch der Eltern, Pilzreste aus dem Mund zu entfernen, scheitert häufig. Es ist nichts oder nicht mehr vorhanden. Dann tun sich gleich mehrere Fragen auf:

 

1) Hat das Kind überhaupt einen Pilz verzehrt?

2) Wenn ja, wie viel oder wie viele?

3) Welche Pilzart war es?

4) Wie giftig ist der Pilz?

5) Kann die Pilzart nicht exakt bestimmt werden, lassen sich toxische Arten ausschließen?

 

Es wäre schön, wenn Eltern die Frage 1 und 2 beantworten können. Der PSV wird versuchen, Antworten auf die Fragen 3 – 5 zu finden.

 

Eltern können den PSV unterstützen:

Erbrechen, Durchfall, Übelkeit und Bauchschmerzen sind Symptome, die bei verschiedenen Pilzarten allein oder in Verbindung mit anderen Symptomen auftreten können. Erhöhter und grundloser Speichelfluss, Tränenfluss und Schweiß sind Symptome  mit einer Latenzzeit von 15 Minuten bis zu 2 Stunden; sie deuten auf das Muscarin-Syndrom, d.h. auf eine schwere Vergiftung mit Risspilzen (Inocybe) oder Trichterlingen (Clitocybe). Im Gegensatz dazu hat der Grüne Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) eine Latenzzeit von durchschnittlich 8 Stunden.

 

Keinesfalls sollten Eltern ihr Kind selbst behandeln. Auch Versuche, Erbrechen herbeizuführen oder die Gabe von Kohletabletten dürfen nur nach vorheriger Rücksprache mit einem Arzt (GIZ) angewendet werden.

 

Oftmals scheuen Eltern eine Fahrt von nur wenigen Kilometern zum nächsten Pilzsachverständigen und glauben, ein digitales Foto oder gar ein Handy-Foto reichten dem Experten zur Identifizierung der Pilzart aus. Leider kann ich aus Erfahrung sagen, dass viele Menschen entweder die Makrofotografie nicht beherrschen oder ihre Kamera nicht über die technischen Möglichkeiten verfügt, ein gutes Foto im Nahbereich zu erstellen. Aber auch ein gutes Foto reicht in den wenigsten Fällen zur sicheren Identifikation der Pilzart aus. Eine genaue  Bestimmung ist nur möglich, wenn der PSV den Pilz oder die Reste in der Hand hat und mit allen Sinnen oder sogar mit Hilfe des Mikroskops und Fachliteratur untersuchen kann.

 

Eine häufig gestellte Frage ist: „Mein Kind hat Pilze in der Hand gehabt; kann da etwas passieren?“  - Nein, Pilze haben keine Kontaktgifte. Hände waschen reicht aus.

 

Pilze gehören zur Natur und lassen sich auf Dauer nicht aus dem Umfeld der Kinder entfernen. Klären Sie daher Ihre Kinder frühzeitig über die Gefahren auf  und behalten Sie die Kleinsten immer im Auge.

Harry Andersson