Vergiftung mit Knollenblätterpilzen
(Gedruckt finden Sie
diesen Beitrag im Tintling - Oktober 2001)
Ein Fall wie dieser ist typisch:
Zwei Neubürger aus Rußland hatten morgens Pilze gesammelt und ihren Fund
mittags verzehrt. Nach etwa 12 Stunden stellten sich bei beiden Eheleuten
Durchfall und Erbrechen ein. Nachdem sich ihr Zustand nicht besserte, ließen sie
sich am Morgen im Krankenhaus aufnehmen und brachten, die Zusammenhänge wohl
ahnend, die Reste der Mahlzeit mit. Das Giftinformationszentrum-Nord (www.giz-nord.de)
wurde daraufhin vom Krankenhaus informiert und um Hilfestellung gebeten.
Wenig später erhielt ich vom diensthabenden Arzt des Krankenhauses einen Anruf
an meinem Arbeitsplatz, der mich über die Fakten sowie den o. a. Ablauf
informierte. Fünfundzwanzig Minuten später war ich mit Blaulicht und Martinshorn
unterwegs nach Hause, im Gepäck ein Röhrchen mit Erbrochenem sowie ein Gefäß mit
den Resten der Pilzmahlzeit.
Das Erbrochene bestand nur noch aus einer gelblichen Flüssigkeit und lieferte
unter dem Mikroskop erwartungsgemäß keinerlei Hinweis mehr auf den Verzehr von
Pilzen.
Die Reste der Mahlzeit bestanden aus einer halben Boulette sowie aus mehreren,
nicht durch Soße verfärbten, sahneweißen Pilzstücken: Glatte Stielstücke, Hutstücke mit glatter Huthaut und sahneweißen Lamellen. Diese Reste schienen aus
nur einer Pilzart zu bestehen, ein charakteristischer Geruch war nicht
festzustellen.
Sporen waren, wie erwartet, nicht in der Fülle eines reifen Frischpilzes oder
eines Exsikkates zu beobachten, sondern mußten gesucht werden. Neben einigen
Fremdsporen, unreifen Sporen, teilweise noch auf den Basidien sitzend, waren
verschiedene Sporen - durch die Zubereitung? - deformiert. Überwiegend fanden
sich jedoch Sporen, wie sie in der Gattung Amanita z. B. von A. phalloides
beschrieben und abgebildet werden. Mehrere Sporen reagierten deutlich
Jod-positiv. Sonstige chemischen Reaktionen, wie sie u. a. bei Meixner
beschrieben sind, fielen ebenso wie der Zeitungspapiertest negativ aus. Sie
funktionieren bei Frischpilzen, ggf. an Exsikkaten.
Das Erscheinungsbild der Pilzstücke, die Einheitlichkeit der Pilzart, die
Sporen, die Amyloid-Reaktion und die lange Latenzzeit zwangen förmlich zu der
Schlußfolgerung, daß es sich um eine Knollenblätterpilz-Vergiftung handelt. Das
Ergebnis teilte ich umgehend dem behandelnden Arzt sowie dem diensthabenden Arzt
des Gifinformationszentrum-Nord mit. Alle notwendigen medizinischen Maßnahmen
wurden sofort eingeleitet. Die Diagnose "Knollenblätterpilzvergiftung" wurde
später durch einen RIA-Test abgesichert.
Die spezielle Behandlung bei Knollenblätterpilzvergiftungen läuft nach einem
bestimmten Schema ab. Die durchgeführten Maßnahmen: Magenspülung, medizinische
Kohle, Duodenalsonde, Silibinin, der Wirkstoff aus der Mariendiestel (Silybum
marianum), im Handel als Legalon SIL, parallel dazu die Aufrechterhaltung des
Elektrolythaushaltes sowie der Ausgleich des Flüssigkeitsverlustes auch um die
Ausscheidung der Giftstoffe über die Nieren zu forcieren. Zusätzlich wird häufig
eine Blutwäsche (Hämoperfusion) vorgenommen.
Die enge Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus, Giftinformationszentrum-Nord und
dem Pilzsachverständigen sowie in diesem Falle auch der Polizei führte zur
frühzeitigen Diagnose und Therapie. Die Patienten konnten nach 16 Tagen aus dem
Krankenhaus entlassen werden. Nur die frühzeitige und konsequente Einleitung
aller medizinisch notwendigen Maßnahmen kann die sonst hohe Letalität der
Knollenblätterpilzvergiftung deutlich senken.
Natürlich habe ich mich auch in diesem Fall gefragt, welche Pilzart das Ehepaar
wohl sammeln wollte bzw. welche Pilzart(en) sie mit dem Grünen
Knollenblätterpilz verwechselt haben. Nach der Genesung wollte das Paar leider
nicht mehr mit mir über das Erlebte sprechen. Die Fragestellung, a) welche
Pilzart gilt bei uns als eßbar und b) kann mit Amanita phalloides verwechselt
werden, führt zu keinem Ergebnis. Je nach Kenntnisstand nannten mir verschiedene
befragte Personen "Champignon, Perlpilz, Grauer Wulstling, Grünling oder
grünhütige Täublinge".
Die Frage, warum gerade Menschen, die aus der ehemaligen UDSSR zu uns gekommen sind, immer wieder den Grünen Knollenblätterpilz verzehren, ist nicht in einem Satz zu beantworten. Jedenfalls gibt es nicht den unbekannten, in der UDSSR essbaren Pilz, der dem Grünen Knollenblätterpilz hier bei uns so sehr ähnelt. Geringe oder in Vergessenheit geratene Kenntnisse, dem Sammler unbekannte, unterschiedliche Biotope, andere Begleitbäume, und nicht zuletzt sehen Pilze (Bäume) woanders auch anders aus.
Amanita citrina (Gelber Knollenblätterpilz) wird je nach Literatur als giftig,
leicht giftig oder ungenießbar beschrieben. A. citrina enthält keine Amanitine
oder Phalloidine, lediglich Bufotenin. Bresinsky & Besl schreiben: Bufotenin
ist, oral verabreicht, toxikologisch ohne Bedeutung. Flammer/Horak: Das in
Speisepilzen vorkommende Bufotenin wird bei der Verdauung im Magen-Darm-Trakt
entgiftet. Folgerichtig bezeichnen aktuelle Pilzbestimmungsbücher A. citrina
auch nicht mehr als giftig, sondern lediglich als ungenießbar. Der Gelbe
Knollenblätterpilz ist also nach ausreichendem Braten oder Kochen essbar, wären
da nicht der dumpfe Geruch und die Gefahr der Verwechslung mit A. phalloides.
Ein regionaler Aufklärungsversuch im Jahr 2001 für Neubürger aus Osteuropa
zusammen mit der Volkshochschule Braunschweig kam wegen zu geringer
Teilnehmerzahl nicht zustande.
Noch ein ärztlicher Hinweis vom Giftinformationszentrum-Nord in Göttingen für
die Sachverständigen, die wie ich, auch Erbrochenes mikroskopieren: Aus
hygienischer Sicht, insbesondere zur Vermeidung von Ansteckungen z. B. mit
Hepatitis A, unter Umständen ist auch eine Ansteckung mit Hepatitis B möglich,
sollten grundsätzlich Gummihandschuhe getragen werden - auch wenn es ungewohnt
ist. Eine Impfung gegen Hepatitis A/B ist zu empfehlen, allerdings sollten Sie
vorher mit Ihrer Krankenkassen klären, ob sie die Kosten für diese nicht ganz
billige Impfung übernimmt.
Gern hätte ich aus dem Leserkreis Erfahrungen und weitere Informationen zum
Themenkomplex "Knollenblätterpilzvergiftungen, andere Pilzvergiftungen, Erkennen
von ... , Mikroskopie, Behandlung, Latenzzeiten usw.".
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